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„REWRITING MODERNITY“ und „DEGROWTH NOW“
Rockbund Art Museum Shanghai (China) (2014)

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Andreas Mayer-Brennenstuhl greift in unterschiedlichen Aspekten und mit verschiedenen künstlerischen Strategien das Thema „advance through retreat“ („Vorwärtsschreiten durch Rückzug“) auf, indem sie den Fortschrittsgedanken der „Avantgarde-Kunst“ des 20.Jahrhunderts in Verbindung bringen mit dem allgemeinen Fortschrittsgedanken der Moderne und deren offensichtlichem Scheitern. „Rewriting modernity“ ist eine raumfüllende Medien-Installation unter Verwendung einer Video-Projektion, „degrowth now“ ist eine partizipative Installation, bei der das Publikum sich aktiv einbringen konnte. Beide Arbeiten setzen sich kritisch mit dem „Avantgarde“-Gedanken und dem Thema „Fortschritt“ auseinander an einem Ort, der vielleicht wie kein zweiter weltweit dem Fortschritts-Gedanken huldigt.
Der Begriff der „Avantgarde“, den die Kunst der Moderne für sich reklamierte, ist dem militärischen Sprachgebrauch entlehnt. Hier entsteht ein interessanter Bezug zu der Abbildung auf der Einladungskarte: Die abgebildelte Person in traditionellem Mönchsgewand auf dem historischen Foto ist in Wirklichkeit ein in Ungnade gefallener chinesischer General, der durch diese Foto-Inszenierung seinen „Rückzug“ aus der Welt der Politik demonstrieren wollte, mit der Hinterabsicht, sich dadurch politisch zu rehabilitieren um später wieder „vorrücken“ zu können. Diese Strategie wird heute von vielen Politikern, die sich eines Fehlverhaltens schuldig gemacht haben medienwirksam inszeniert und erfolgreich praktiziert. Es ist die klassische Militär-Strategie des Geländegewinns durch vorübergehenden Rückzug. Tatsächlich gibt es aber nur ein Ziel und das heißt: „Vorwärts“. Dieses unbedingte „Vorwärts“ ist auch der Kerngedanke der Moderne, sowohl der Industriemoderne als auch der Kunst- Moderne.
 

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Die Problematik des eindimensionalen Fortschritts-Denkens der modernen Gesellschaft hat ihr Pendant im künstlerischen Avantgarde-Gedanken. Die Künstler glaubten zu Beginn der Moderne die Vorhut einer  gesellschaftlichen Entwicklung zu sein, deren Ziel einer gerechten und humanen Gesellschaft sie in greifbarer Nähe wähnten. Ihr Glaube an technischen und humanen Fortschritt war noch ungebrochen.Am Ende des 20. Jahrhunderts hat sich die Perspekive dramatisch verändert, der Glaube an ein lineares Fortschreiten der Geschichte hin zu einer humanen Gesellschaft hat sich als trügerisch erwiesen. Fortschritt hat sich reduziert auf seine technizistische Variante der Industriemoderne, soziale und humane Verbesserungen sind dabei auf der Strecke geblieben. Statt einer friedlichen Zukunft haben sich die kriegerischen Auseinandersetzungen vervielfacht, die sozialen Widersprüche sind weltweit ungelöst und der technische Fortschritt zeigt sein Janusgesicht in der Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen.Das ungebremste Vorwärts-Denken hat offensichtlich „den Karren an die Wand gefahren“.Der Titel der Installation wirft in diesem Zusammenhang die Frage auf: Was nun? Ist eine kritische Revision des modernen „Vorwärts-Denkens“ notwendig .Und was könnte das „Redigieren der Moderne“ bedeuten, wenn wir unter Moderne etwas anderes verstehen als das, was das 20. Jahrhundert darunter verstand?

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Die raumfüllende Installation „Rewriting modernity“ thematisiert Aspekte dieser Fragen. Der Lastwagen, der in dieser Installation zu sehen ist, ist eine Anspielung auf den LKW, mit dem der Sarg des russischen Künstlers Kasimir Malewitsch zum Friedhof transportiert wurde. Sein berühmtes „Schwarzes Quadrat“, das Symbol der suprematistischen Kunst, war an der Front des LKW in der gleichen Weise befestigt, wie es in dieser Installation zu sehen ist. Dieses Werk ist gewissermaßen die „Ursprungs-Ikone“ der Moderne und steht damit für deren  ambivalente Intention.Die kritische Hinterfragung der Moderne, stellt auch die Frage nach der Bedeutung des Fortschritts: bedeutet Fortschritt nur technologischer Fortschritt oder umfasst dies auch den kulturellen Fortschritt, den Fortschritt von Freiheit und Demokratie, die Entwicklung der Bürgerrechte und des herrschaftsfreien Diskurses? Ist Fortschritt nur eine Einbahnstraße, die linear in eine zweifelhafte Zukunft führt oder hat die Geschichte eher eine nichtlineare Struktur mit der Dimension des kreativen und unbestimmtes Denkens, wie dies Künstler praktizieren? Die Anwort auf diese Frage entscheidet, ob die Moderne gegen die Wand gefahren wird oder ob der Durchbruch auf die andere Seite gelingt wie dem „Malewitsch Laster“ in dieser Installation .

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Der graue LKW in der Installation wird um dokumentatorische Elemente erweitert, die Relikte einer Aktion sind, in der ebenfallls ein grauer Lastwagen und das „Schwarze Quadrat“ eine zentrale Rolle spielten. Graue Fahnen und Transparent, die bei der Aktion verwendet wurden, sind jetzt Bestandteil der Installation „Rewriting modernity“. In den Wanddurchbruch wird auf eine semitransparente Leinwand ein Videofilm projeziert. Inhalt des Videos ist die Dokumentation einer Aktion am 1. Mai in Stuttgart, bei der eine Gruppe von Aktivisten - alle Mitglieder des Kunstraumes Oberwelt e.V. Stuttgart - die offizielle Gewerkschafts-Kundgebung am 1. Mai auf subversive Weise auf einem alten, grauen Lastwagen, mit grauen Bannern und Fahnen, Plakaten und Megaphon-Durchsagen begleiteten.Die Parolen auf den Transparenten waren jedoch keine politischen Parolen, wie man erwarten würde, sondern eine Mischung aus dadaistischen Sätzen und Zitaten aus dem Kontext der „suprematistischen Bewegung“ sowie Ausschnitte und Zitate von Publikationen der Philosophen J. Habermas und J.F. Lyotard, die sich auf  unterschiedliche Weise kritisch mit der „Moderne“ beschäftigt haben. So ist zum Beispiel der Titel der Installation „Redigieren der Moderne“ der Titel eines Essays von J.F. Lyotard über die Postmoderne, ein weiterer Satz auf einem Demonstrationsplakat ist ein Zitat aus einem Essay mit dem Titel „Die unvollendete Moderne“ von J.Habermas und der rätselhafte Satz „ Schlagt die Weißen mit dem roten Keil“ ist der Titel eines Bildes des konstruktivistischen Malers El Lissitzky. Die Intention der Aktion ist also keine politische Botschaft, sondern eine philosophische mit einem kulturkritischen Moment .

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